The Master

Die Sicht durch den Alkohol getrübt – ein sehr treffendes Poster zu The Master

Paul Thomas Anderson wird als Ausnahmeregisseur gefeiert, gilt als Erbe Kubricks und hatte dennoch Probleme, die Finanzierung für seinen Nachfolger zu There Will Be Blood auf die Beine zu stellen. Nun, fünf Jahre nach dem opulenten Meisterwerk, hat es The Master endlich in die amerikanischen Kinos geschafft. Viel war im Vorfeld über den Film nicht bekannt, nur der Zusammenhang mit Scientology wurde immer wieder genannt. Dann gab es überraschend unangekündigte Screenings quer durchs Land – von Austin über Chicago bis New York – und erste Kritiker gaben sie euphorisch – oder auch verstört. Seine offizielle Premiere feierte The Master dann schließlich bei den Filmfestspielen in Venedig. Joaquin Phoenix (Two Lovers) und Philip Seymour Hoffman (The Savages, Synecdoche, New York) teilten sich den Preis als bester Darsteller, Paul Thomas Anderson bekam die Auszeichnung als bester Regisseur. Dass der Hauptpreis nicht auch an den Film vergeben werden konnte, lag an den Regeln des Filmfests, die es verbieten, einen Film mit mehr als zwei Preisen auszuzeichnen.

Nachdem ich es geschafft hatte, Tickets für den Premierenabend in New York zu bekommen, stieg die Vorfreude ins Unermessliche. Eine kleine Enttäuschung gab es allerdings schon vor dem Film: Die Schlange vor dem Kino erstreckte sich 45 Minuten vor Beginn schon über einen ganzen Straßenblock; unsere Plätze waren dementsprechend nicht die besten. Noch dazu ließ die Akustisk im alten Kinosaal zu wünschen übrig. Immerhin wurde The Master in dem von Anderson intendierten Filmformat von 70 mm gezeigt. Dieses wurde aufgrund des hohen technischen und finanziellen Aufwandes seit mehr als 15 Jahren nicht mehr verwendet, sieht aber phantastisch aus. Die Farben leuchten kräftig von der Leinwand und vollenden die Bildkompositionen von Anderson und seinem Cinematographen Mihai Malaimare Jr.

Doch von der technisch wie zu erwarten herausragenden Seite abgesehen – wovon handelt The Master? Anderson verfolgt den Soldaten Freddie Quell (Phoenix), der aus dem Zweiten Weltkrieg als Alkoholiker heimkehrt. Verloren in der Welt, allein mit seiner Wut, seiner sexuellen Gier, sucht er Halt und stößt auf Lancaster Dodd (Hoffman), den Anführer der Glaubensgemeinschaft The Cause, die auf den Anfängen von Scientology fußt.

Joaquin Phoenix als Freddie Quell

Doch genau wie sein Protagonist scheint der Film ziellos umherzuirren, mal zu Freddies Liebesleben vor dem Krieg, mal zu einer absurden Motorradfahrt durch die Wüste, bei der sich Freddie und Lancaster offenbar in einem Wettstreit befinden. Doch was gibt es zu gewinnen? Was müssen sich die Männer beweisen? Die Beziehung der beiden ist der Fokus in einem Film, der ohne klassischen Handlungsverlauf, ohne übergeordnete Konflikte, ohne Ergebnis auskommen will. Vielleicht versucht Freddie zu beweisen, dass er auch ohne The Cause, ohne seinen Master auskommen kann. Doch was ist Lancasters Ziel? Er gibt Freddie gegen den Rat seiner Frau Peggy (Amy Adams, Doubtnicht auf, stellt ihn in den Mittelpunkt seiner Lehre, fleht ihn in einer der vielen kuriosen, selten aufeinander aufbauenden Szenen sogar in einem Lied an, ihn nicht zu verlassen. Braucht er ihn nur als extremes Fallbeispiel für die Wirksamkeit seiner Lehre? Wie persönlich ist für ihn die Beziehung zu Freddie?

Philip Seymour Hoffman als Lancaster Dodd

Genauso argwöhnisch wie das Publikum betrachtet Mary Sue die beiden Männer. Amy Adams reißt in ihren wenigen dominanten Szenen das Geschehen an sich, hält sich die meiste Zeit jedoch im Hintergrund. Die Präsenz ihrer Figur spürt man trotzdem. Manchmal ahnt man, dass sie in ihrer Ehe und ein Stück weit auch in The Cause das Sagen hat. Bestimmt wird der Film jedoch von den beiden Männern. Hoffman gibt den Führer der Gemeinschaft charismatisch und dennoch undurchsichtig und vielleicht nicht weniger verloren als Freddie Quell. Dieser wird von Phoenix geradezu animalisch verkörpert. Das Gesicht verzogen, die Körperhaltung bucklig, die Aussprache nuschelnd, teilweise unverständlich, irrt er durch eine Gesellschaft die ihn nicht versteht und ihn auch nicht verstehen will. Doch will er überhaupt verstanden werden oder hat er nicht selbst schon längst aufgegeben?

The Master ließ mich nicht begeistert, doch auch nicht enttäuscht zurück. Eher hilflos und verloren, mit dem starken Bedürfnis, den Film ein weiteres Mal zu sehen. Bis es soweit ist – der deutsche Starttermin ist noch unbekannt – lege ich mich noch nicht auf meine Wertung fest. Meine Rezension bleibt vorerst also ähnlich zerfahren wie Paul Thomas Andersons neuestes Werk, dem wohl unzugänglichstem Film seiner bisherigen Karriere.