Boogie Nights

Eddie Adams (Mark Wahlberg, The Departed) ist 17, hat die High School abgebrochen und jobbt in einem Nachtclub. Er ist der Ansicht, dass jeder ein besonderes Talent hat. Seines steckt in seiner Hose, ist ziemlich groß und überzeugt den Pornoregisseur Jack Horner (Burt Reynolds) davon, dass Eddie ein Star werden kann. Unter dem Namen Dirk Diggler begibt sich Eddie in eine bunte Parallelwelt aus Sex, Drogen und Discomusik. Er kommt groß heraus, ist Ende der 70er Jahre der größte Stern am Pornohimmel Amerikas; doch in den 80ern bringen ihn sein Größenwahn, Drogenexzesse und die sich verändernde Filmlandschaft wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Paul Thomas Anderson (Magnolia, There Will Be Blood) zeigt in „Boogie Nights“ eine für die meisten Zuschauer komplett fremde Welt. Sex ist hier ein Geschäftsmodell und für die zahlreichen Figuren scheint es nichts selbstverständlicheres zu geben. Jack Horner lebt mit der Pornodarstellerin Amber Waves (Julianne Moore) fast wie in einer unkonventionellen Ehe, Rollergirl (Heather Graham), eine Darstellerin, die sich nie ohne Rollschuhe zeigt, nimmt die Tochterrolle an. Auch Buck (Don Cheadle), Becky (Nicole Ari Parker) und Reed (John C. Reilly) scheinen ständig in Jacks luxuriösem Haus, in dem wilde Parties mit reichlich Koks auf der Tagesordnung stehen, anwesend zu sein. Nur Little Bill (William H. Macy, Fargo), Jacks Assistent, kommt mit dem lockeren Umgang mit Sex nicht zurecht.

Anderson vermittelt mit der detailverliebten Ausstattung, hervorragenden Kostümen und mitreißender Musik aus der Epoche einen faszinierenden Lebensstil. Stellenweise inszeniert er so virtuos, dass sich einzelne Szenen ins Gedächtnis brennen: „Boogie Nights“ beginnt mit einer One-Shot-Aufnahme im Nachtclub in der innerhalb weniger Minuten die meisten Charaktere des Film wie im Vorbeigehen vorgestellt werden; gegen Ende ist Dirk Teil eines Dorgendeals, der spektakulär schief geht, aber für beste Unterhaltung sorgt.

Das wunderbare Schauspielensemble, das Anderson größtenteils für Magnolia wieder verpflichtete, schafft dreidimensionale Charaktere, die allesamt interessieren aber – und hier liegt mein einziger Kritikpunkt – selten berühren. Bestes Beispiel ist Amber Waves, die aufgrund ihrer Pornokarriere und diversen Drogeneskapaden das Sorgerecht für ihren Sohn verloren hat und darunter auch sichtlich leidet. Trotzdem taucht sie bei einer entscheidenden Besprechung mit einer Richterin ohne Anwalt auf, obwohl es an Geld nicht mangelt. Sie kriegt ihr Leben einfach nicht auf die Reihe. Das mag zu einem gewissen Anteil den Drogen geschuldet sein, doch – anders kann man es nicht sagen – Amber ist auch ein bisschen dumm. Und diese Dummheit zieht sich durch den gesamten Film. Jack, ein übrigens seltsam asexuell erscheinender Charakter, erkennt fast zu spät, dass die Zukunft der Pornoindustrie im Videomarkt liegt. Dirk kommt nicht mal zu einem High School-Abschluss und überschätzt seine Talente (vor allem die musikalischen) maßlos.

„Boogie Nights“ erinnerte mich immer wieder an Goodfellas. Auch Scorsese erzählt vom Aufstieg und Fall im unbekannten Berufsmilieu. Und wie in Goodfellas ließen mich in „Boogie Nights“ die Charaktere kalt. Übrig bleibt ein handwerklich hervorragender Film, den ich mit großem Interesse und viel Spaß am Zusehen verfolgt habe, der mich aber letztlich doch unberührt zurückließ.

8/10