Chinatown

„Are you alone?“ wird der Privatdetektiv J.J. Gittes gefragt. Er antwortet: „Isn’t everyone?“. Im Stil des klassischen Film Noirs inszeniert Roman Polanski in Chinatown eine düstere Detektivgeschichte, in der die Welt – oder zumindest Los Angeles des Jahres 1937 – und die Menschen darin schlecht sind. Gittes (Jack Nicholson, One Flew Over The Cuckoo’s Nest) gibt den zynischen Antihelden, der die Hoffnung auf ein Stückchen Gerechtigkeit noch nicht ganz aufgegeben hat. Er ist ein gebrochener Mann, ein ehemaliger Polizist, der früher, als er in Chinatown arbeitete, eine ihm wichtige Frau verloren hat.

Nun bekommt er es wieder mit einer Frau zu tun: Evelyn Mulwray (Faye Dunaway, Network) ist jedoch keine typische femme fatale. Anfangs ist sie undurchsichtig, ihre Motive sind unklar, sie hat Geheimnisse. Ihr Ehemann, Hollis Mulwray, Verantwortlicher für die Wasserversorgung von L.A., scheint eine Affäre zu haben. Kurz nachdem diese von Gittes aufgedeckt wird, wird er tot in einem Wasserreservoir aufgefunden. Ertrunken, ausgerechnet in einer Phase der Wasserknappheit. Gittes ermittelt weiter, kommt hinter illegale Machenschaften bezüglich der Wasserversorgung der Stadt und bringt auch Evelyns Vater Noah Cross (John Huston) damit in Verbindung. Gittes gerät in einen Strudel aus Familiengeheimnissen und politischen Skandalen. Wie schon zu früheren Zeiten in Chinatown wäre es besser gewesen, so wenig wie möglich zu handeln, sich aus allem herauszuhalten. Die Welt ist korrupt, sie ist ein alles verschlingender Abgrund – und zu retten ist sie sowieso nicht mehr.

Chinatown fesselt durch seine von Autor Robert Towne schlüssig konstruierte, komplexe Detektivgeschichte. Sie bietet nicht nur die äußere Handlung, sondern wirft auch einen gnadenlosen Blick auf die Ursprünge der modernen amerikanischen Gesellschaft. Noah Cross erscheint wie eine logische Fortsetzung von Daniel Plainview aus There Will Be Blood, ein durch Gier und Betrug reich gewordener Mann, ein self-made millionaire, die perverse Verkörperung des amerikanischen Traums. Gleichzeitig zeigt Chinatown, dass Menschen wie Noah Cross maßgeblich zur Entstehung von Los Angeles beigetragen haben, ja, vielleicht sogar, dass die amerikanische Stadt nur auf dem Boden der Habgier gedeihen konnte. Warum sollte man dann erwarten, dass Moral, Anstand, das Gute noch irgendwo zu finden wären?

Polanskis (Rosemary’s Baby, Carnage) Chinatown ist nicht nur ein zutiefst pessimistischer Film, er ist gleichzeitig wunderschön. Die Kamera fängt eine kaputte Eleganz ein, die auch von Faye Dunaway perfekt verkörpert wird. Nicholson glänzt als Gittes, der trotz seiner vergangenen Erfahrungen gerne ein Held wäre, es jedoch in der Welt, die ihn umgibt, nicht sein kann. Maßgeblich zur Atmosphäre trägt der gänsehauterzeugende Score bei.

Chinatown ist perfektes Kino aus dem wohl besten Jahrzehnt des amerikanischen Films.

10/10